Ich bin alleine auf dem Campground, alle anderen sind wohl vor dem Wetter geflüchtet.
Die Nacht ist ruhig, – still ruht der See, der Nieselregen hat aufgehört.
Der Morgen sieht gut aus, – draußen ist es schon wärmer geworden und die dünne hochnebelartige Wolkendecke löst sich bald auf, die Sonne lacht von einem strahlend blauen Himmel, – als wäre Nichts gewesen.
Nach dem Frühstück nutze ich noch für eine knappe Stunde das WLAN des Hauses, – gibt ja kein Funknetz hier, fülle den Wassertank, dann mache ich mich los.
Heute habe ich nur knappe 110 Kilometer bis zur Grenze und will am frühen Nachmittag noch den Sprung hinüber schaffen.
Ich fahre etwa 40 km auf der MEX 307, dann bin ich zurück auf der MEX 190, dem alten panamerikanischen Highway, der durch den Kontinent führt, – etwa 70 km weiter südlich ist der Übergang Ciudad Cuauhtémoc – Frontera La Mesilla bei La Demacracia.
Sieht alles nach einem easy Sonntagsausflug aus, – aber erstens kommt es immer anders usw., – ihr wißt schon, – es wird noch ein abenteuerlicher Tag heute.
Zunächst überwiegen nach der Wegfahrt vom See noch die Nadelwälder, – nach wenigen Kilometern ändert sich dann die Vegetation schlagartig.
Wo gestern noch üppig wuchernder, tropischer Regenwald war und heute auf den letzten paar Kilometer eben Nadelwälder, wird die Landschaft hier trocken, – geregnet hat es wohl schon länger nicht mehr, zumindest nicht viel, – die Maisäcker sind wieder braun, – die Weiden nicht wirklich grün, – ganz zaghaft kommt frisches Grün durch den braunen Teppich von Altgras.
Auf der MEX 190 geht es zügig südwärts, gegen 15 Uhr werde ich wohl an der Grenze sein.
Doch es kommt anders:
Etwa 25 km vor der Grenze, bei San Agustin Dos, steht der Verkehr Richtung Süden komplett, – nichts geht mehr, – Gegenverkehr ist auch keiner zu sehen, – die Menschen haben sich gemütlich eingerichtet, Klappstühle auf der Straße, – oh, oh, das wird wohl dauern.
Ein Nachbar aus dem Stau versucht mir zu erklären, daß der Stau wohl bis an die Grenze führen soll. Warum das denn ? Frontera La Mesilla ist eigentlich kein großer Übergang, aber naja, wird schon so sein.
Ich überlege, was ich machen kann und sehe auf der Karte, daß der Abzweig zum Lagos de Colon, einem Ausflugsziel mit Hotels und Campingplätzen nur 500 Meter weiter vorne links abgeht.
Das mache ich, – ich traue mich mit Warnblinker auf die Gegenspur und fahre langsam an der Schlange vorbei bis zum Abzweig, – aus der Ferne kann ich sehen, was wirklich los ist, – von wegen Stau bis zur Grenze, – Stau bis genau hierher, denn hinter der Kreuzung haben irgendwelche, – ja, wer eigentlich ?, – ich weiß es nicht !, einen LKW quergestellt und die Straße blockiert, 30 bis 40 Leute stehen um den LKW herum, – demonstrieren.
Glück gehabt, mein Abzweig ist vorher, denke ich, blinke und fahre rein, – bis ich erkenne, daß da auch zwei LKW querstehen, – na prima, – das war nichts, – ich drehe um, fahre die Strecke wieder zurück und stelle mich an alter Stelle wieder an.
Nach einer Weile schaue ich mir das Ganze aus der Nähe an, viele Andere aus dem Stau sind auch nach vorne gegangen, um zu schauen, um was es überhaupt geht.
Der Verkehr ruht komplett, – Passanten kommen und gehen, – es gibt keine Transparente oder Ähnliches, ich habe also keine Ahnung, was das Anliegen dieser Leute ist.
Nun rückt Militär aus der Gegenrichtung an, drei Pickups, die Ladefläche vollbesetzt mit Soldaten, auf dem Dach ein MG, und ein vollbesetzter Pritschen-LKW als Mannschaftstransporter, sie dürfen passieren, offensichtlich geht man Konfrontationen aus dem Weg, auch das Militär macht keine Anstalten, irgendetwas an der Situation zu ändern, sie biegen in den Abzweig nach Lagos de Colon ein, einer der beiden Blockade-LKW rückt zur Seite.
Eine ganze Weile passiert nichts, also gehe ich wieder zurück, nicht ohne zwei Handyfotos aus der Ferne zu machen und meiner Wege zu gehen.
Vom querstehenden LKW auf der 190 kommt irgendwelches Geschrei, beim Zurückschauen sehe ich aufgeregte Männer, denke, daß jetzt wohl das Militär irgendeine Aktion startet und gehe meines Weges, muß ich ja nicht dabei rumstehen, andere Passanten schauen auch, was da wohl los ist.
Wenige Sekunden später stehen etwa 10 von diesen Kerlen, teilweise maskiert und mit Holzknüppeln bewaffnet um mich herum, – hä, was wollen die denn ?
Ich verstehe plötzlich: „No Foto, no Foto“, – aha, daher weht der Wind, – ich bleibe ruhig, und antworte auch „No Foto, – ok, no Problema“, zücke mein Handy, der Wortführer schaut, ich zeige ihm die zwei Bilder und sage ihm, daß ich sie halt lösche, und während er und 3 oder 4 von ihnen zusehen, lösche ich sie, – ein weiteres Foto, das ich hinten vom Stauende gemacht habe, lösche ich großzügigerweise auch noch, – Alles gut !
Doch für einen von den Typen scheint das Thema damit nicht durch zu sein, er ist wohl scharf auf mein Handy, fordert es mit Nachdruck.
Junge, da hast Du Dir den Falschen ausgeguckt, ich schaue ihm in die Augen und schnauze ihn an, „No foto ist ok, no Problema“ und stecke mein Handy demonstrativ in die Hosentasche und will weggehen.
Der läßt nicht locker, – ich biete ihm dann an, daß er gerne die Foto-Speicherkarte haben kann, das Handy aber nicht kriegt, „ich sei Tourist aus Alemania und brauche mein Handy“, erkläre ich ihm.
Das scheint ihn nicht zu jucken, er bleibt dran, – jetzt sage ich ihm das ganze noch mal in Englisch, wissentlich, daß der sicher kein Englisch spricht.
Und plötzlich meldet sich ein Herr aus der zweiten Reihe der Gruppe, er war mir zuvor schon aufgefallen, um die 60 Jahre, besser gekleidet als die Anderen und ruft mir in Englisch zu: „Sorry, sorry, sorry Sir, please excuse us, – no foto is ok, no foto, no problem“, er streckt mir seine Hand entgegen und entschuldigt sich noch einmal. Keine Ahnung, was in ihm vorgeht, was ihn veranlaßt, hier plötzlich solche Töne anzuschlagen !? Aber mir kann es nur Recht sein.
Ich bedanke mich bei ihm, nutze die Gunst des Momentes und strecke dem, der mein Handy wollte, dreist meine Hand entgegen, – er zögert kurz, – dann nimmt er sie, – ich lache freundlich, klopfe ihm auf die Schulter und sage „Amigos“ zu ihm, ich glaube, das hat Eindruck hinterlaßen.
Dann sage ich „Adios“ und gehe. Sie wohl auch, ich schaue nicht mehr zurück, – erst später, weiter oben, – da sind sie längst weg.
Gegen 17.20 Uhr höre ich Sprechchöre von der Kreuzung, gegen 17.30 Uhr fährt das Militär hier vorbei und verschwindet, – die rücken ab, – und kurz danach rollt der Verkehr wieder.
Jetzt wird es aber auch Zeit, in 30 Minuten wird es dunkel, zum See sind es 12 Kilometer.
Es ist wieder mal tierisch eng, dort, wo ich hin will.
Zuletzt geht es in einen engen Wald, es ist schon fast dunkel, die Äste hängen wieder recht tief, ich schlängel mich so durch, – und stehe plötzlich vor einem schmalen Fluß, – hä, was jetzt ?
Ich lese nochmal in der Platzbeschreibung, – tatsächlich, der Campground ist nur nach zwei Flußdurchfahrten zu erreichen.
Ok, soll kein Problem sein, – nur glauben wollte ich es erst gar nicht.
Der erste Fluß ist recht easy, der Zweite eher nicht, – starke Strömung und die Tiefe ist im Halbdunkel auch nicht so recht abzuschätzen, also gehe ich erst mal zu Fuß über die kleine Fußgängerbrücke nebenan.
Nunja, wenn da wohl auch andere, gar mit PKW durchfahren, wird das doch für den HerrMAN kein Problem sein, sicherheitshalber sperre ich mal die Achsen und mache Allrad rein, dann fahre ich rüber, geht auch recht gut, ca. 50 cm tief ist das Wasser hier, 100 Meter weiter erreiche ich meinen Nachtplatz, ( N 15° 49′ 52.5“ W 091° 53′ 39.3“ ) ich bin mal wieder ganz alleine, – außer dem kräftigen Rauschen des Flußes ist nichts zu hören.
Tagesetappe: 102 km Gesamtstrecke: 50.498 km
Die beiden Fotos von der Blockade (die beiden letzten Fotos von heute) habe ich am Abend auf der Speicherkarte meiner Cockpitkamera gefunden und rauskopiert, entschuldigt also bitte die miese Qualität.






